Hinduismus in Indien, Religionen in Indien
 

Hinduismus in Indien - Rundreisen zu Hindus Indiens
 

Gott Ganesha : der Elefantengott

Im Volksglauben war Ganesh der Sohn von Shiva und seiner Frau Parvati, doch die Legende besagt, dass Parvati Ganesch schuf, um Shiva die Unsitte auszutreiben, sie im Bad zu überraschen. Denn weder ihre Bitten noch Türsteher konnten ihn davon abhalten.
Eines Tages nahm sie die beim Bad verwendeten Öle und Salben, formte aus ihnen die Figur eines Jungen und erweckte sie mit einem Spritzer Ganges-Wasser zum Leben. Sie versah ihre Schöpfung mit Bärenkräften und bat sie, ihre privaten Wohnräume vor allen Eindringlingen zu schützen. Shiva kam bald des Weges, und schob wie gewohnt den Wächter seiner Frau beiseite. Doch Ganesch lieferte solch einen heftigen Widerstand, dass der wütende Shiva ihm seinen Kopf abschnitt.
Parvati war untröstlich, schimpfte Shiva einen Mörder und forderte, dass er ihren Sohn wieder lebendig mache. Doch der arme Shiva konnte Leben, das er selbst genommen hatte, nicht erneuern. Parvatis Klagen erschütterten die Erde und wurden auch in Kailash vernommen.

Die Götter erweckten Vishnu, den Beschützer, aus seinem ewigen Schlaf auf Ananta, der göttlichen Schlange; er sollte einen Weg finden, den Frieden wiederherzustellen. Vishnu konnte den Jungen nicht zum Leben erwecken, doch erfinderisch wie er war, nahm er den Kopf des ersten Wesens, das ihm über den Weg lief, eines Elefanten. Shiva, bereit alles zu tun, um das Weinen seiner Frau zu stoppen, setzte den Elefantenkopf auf den Körper des Jungen, und Vishnu verlieh ihm Leben. Dankbar darüber, dass Parvati mit dieser neuen Schöpfung zufrieden zu sein schien, versprach ihr Shiva, fortan nie mehr seine Anwesenheit aufzuzwingen. Als Folge der Legende wird Ganesch als Dwarpala (Pförtner) in Tempeln und auch in Häusern dargestellt.

Kein Hindu beginnt ein neues Unternehmen oder betritt ein neues Heim, ohne zunächst an Ganesch zu beten. Der Elefantengott ist nicht nur Beschützer des Heimes, sondern auch der Gott des Glücks und des Überflusses.

 

Hinduismus ins Detail:
Der Hinduismus ist eine der ältesten Religionen der Welt. Seine Wurzeln reichen bis in das 3. Jahrtausend vor Christus zurück. In Indien sind ungefähr 85 % der Einwohner Hindus. Im Gegensatz zu anderen Religionen hat der Hinduismus keinen Gründer, keinen Propheten und keine feste Doktrin. Hinduismus ist nicht nur eine Religion, sondern er ist eine Lebensweise. Es wird gesagt, dass es im Hinduismus 330 Millionen Götter und Göttinen gibt. Nicht nur die Gottheiten werden angebetet, sondern auch Naturelemente werden verehrt z.B. die Luft, der Himmel, der Baum, verschiedene Tiere usw. Die Kuh wird als ein heiliges Tier und wie eine Mutter betrachtet. Die Götter und Göttinnen haben verschiedene Formen und Inkarnationen. Sie besitzen ihre eigenen Reittiere oder -vögel. Die Gottheiten werden mit vielen Händen, Waffen und durch verschiedene Symbolen dargestellt.

Hinduismus

Hinduismus

Jede Gottheit hat eine oder mehrere bestimmte Kräfte und Attribute. Und sie werden je nach der Eigenschaft oder der Kraft, die sie besitzen, angebetet. Unter diesen zahlreichen Göttern gibt es drei Hauptgötter im Hinduismus. Sie sind Bramha, Vishnu und Shiva. Bramha wird bei Hindus als der Schöpfer des Universums angesehen, Vishnu als der Erhalter und Beschützer und Shiva wird als der Gott der Zerstörung und Wiederschöpfung betrachtet.

Hauptsächlich bestehen 3 Glaubensrichtungen im Hinduismus. Das sind Vishnuismus, Shivaismus und Shaktismus.

1) Vishnuismus: Hier wird Vishnu in seinen zehn Inkarnationen als Gott der Erhaltung und des Schutzes verehrt. Bei allen Inkarnationen kehrt Vishnu immer wieder auf die Welt, um diese zu retten, wenn sie von dämonischen Kräften bedroht wird. Die ersten drei Inkarnationen waren Matsya (Fisch), Kurma (Schildkrote) und Varaha (Eber). Die vierte war Narsimha (halb Mann und halb Löwe). Dann erschien Vishnu in menschlicher Form als Vamana (Zwerg) und später als Parshuram. Die siebte und achte Inkarnation als Rama und Krishna sind die beliebtesten Formen von Vishnu. Bei der neunten war er Buddha, und die zehnte Inkarnation als Kalki steht noch aus. Seine Gemahlin ist die Göttin, Lakshmi, die als Göttin des Wohlstands betrachtet wird.

2) Shivaismus :
Shiva ist eine der ältesten Gottheiten Indiens. Er wird von den Gläubigen Hindus mit 1008 Namen gerufen. Er gilt als der große Yogi, der Gott der Fruchtbarkeit, Herr des Todes und der Zerstörung. Er zerstört das Böse und das Alte, um dem Neuen Platz zu machen. So wird er auch als Gott der Veränderung betrachtet. Er bekleidet sich mit einer langen Schürze aus Tigerfell und ist mit der Mondsichel geschmückt. Sein Reittier, Nandi (Stier) wird in Tempeln häufig vor dem Haupttempel von Shiva aufgestellt. In einer Hand trägt Shiva eine Schlange, die Zeichen der Fruchtbarkeit und Lebensenergie ist, und in einer anderen Hand hat er den Dreizack und eine kleine Trommel (damroo). Damroo bedeutet der "Ton des Universums".
Eine weitere Erscheinungsform von Shiva ist das "Linga", das Phallussymbol. Es ragt aus der "Yoni", einem ringformigen Sockel, der das weibliche Geschlechtsorgan symbolisiert.
In vielen Shiva-Tempeln werden von Hindus Linga und Yoni verehrt.


3)
Shaktismus : Beim Shaktismus werden bei Hindus die Göttinen verehrt. Shaktismus führt alles göttliche Wirken auf eine weibliche Kraft zurück. Nach dem Shaktismus sind auch die Kräfte hinter den männlichen Gottheiten wie Shiva oder Vishnu weiblich. Die weiblichen Gottheiten werden von ihren Hindu Anhängern in verschiedenen Formen und mit verschiedenen Namen verehrt z.B. Durga, Kali, Parvati, Vaishnavi usw. Im 11. Jahrhundert wurde Shakti als die höchste Kraft überhaupt begriffen. Bis heute ist die Shakti-Kult in Regionen wie Bengalen, Orissa, Assam und Gujarat bei Hindus sehr einflussreich.

Außer allen diesen Gottheiten sind noch einige Götter in der Hindu Religion sehr berühmt z.B. der Ganesha, der Gott mit Elefantenkopf. Er wird als Glücksbringer und Problembeseitiger betrachtet.

 

Die Prinzipien
Die zyklische Vorstellung von Geburt, Tod und Wiedergeburt ist ein fundamentaler Teil von Hinduismus. Die Individualseele (Atman) wechselt den Körper und wandelt von einem Leben zum nächsten, bis sie endlich durch Einswerden mit der Weltseele (Brahma) die Erlösung (Moksha) erlangt. Moksha ist die Befreiung von diesem Zyklus von Geburt und Wiedergeburt und das Ziel jedes gläubigen Hindus. Die Gedanken und Taten in dem einen Leben sind verantwortlich für das Schicksal im nächsten Leben. Um die Erlösung zu erlangen, muss der Hindu seine Pflichten (Dharma) vollkommen erfüllen. So wird bei Hindus der Tod nicht als etwas Endgültiges betrachtet, denn dabei stirbt nur den Körper und nicht die Seele. Der ganze

Hindu Prayer

Hindu Prayer

Lebensprozess, Pursharth genannt, wird in vier Teile geteilt : Dharma (die Pflicht), Artha (das Geld oder die Geldmittel), Kama (Freude) und Moksha (Erlösung). Das ist der Weg, den der Hinduismus vorschlägt, um ein vollkommenes Leben zu führen. Dieser Glauben zeigt, warum der Hindu als tolerant und geduldig angesehen wird. Denn er akzeptiert seine Leiden meistens klaglos als Teil seines Schicksals, das von seinem früheren Leben bestimmt wird und über das er keine Macht hat.

Das Kastensvstem
Im Hinduismus gibt es ungefähr 3000 "Jatis" oder Kasten. Aber hauptsächlich wird der Hinduismus in vier gesellschaftliche Gruppen geteilt, die mit Varna (Farbe) bezeichnet sind. Jede dieser Gruppen hatte einen festen Platz in der Gesellschaft und bestimmte religiöse und soziale Pflichten. Die vier Varnas oder Hauptkasten sind: die Brahmanen (die Priester), die Kshatriyas (Krieger und Herrscher), die Vaishyas (Kaufleute und Landwirte) und die Shudras (Diener und Handwerker). Die ersten drei Gruppen sind die im ewigen Kreislauf von Geburt und Wiedergeburt zweimal geborenen, die die Rituale ausüben und die heiligen Texte studieren durften. Die letzte Gruppe stand außerhalb der hinduistischen Gesellschaft. Sie wurden als unreine Menschen betrachtet. Die untersten Kaste dabei war die Harijans, die Unberührbaren, die keiner Kaste angehören.

Was sind Kasten ?
Es existieren keine Kastenzeichen. Das Kastensystem gibt es natürlich, doch sein Wesen ist von kolonialistischen Historikern, die nur seine oberflächlichen Starrheiten sahen und es meist aufgrund mangelnder Kenntnis und Erfahrung verdammten, stark, verkannt worden. Es mutet jedoch seltsam an, dass sie nie die Parallelen zu dem europäischen System der Gilden erkannten, das Handwerker auf der Basis ihrer Spezialisierung in verschiedene gesellschaftliche und wirtschaftliche Gruppen aufteilte.

Denn darum geht es, etwas vereinfacht, bei dem Kastensystem: um eine hierarchische sozioökonomische Organisation der Gesellschaft, die sich entwickelte, als Indiens alte Zivilisation die nomadischen, Sanskrit sprechenden Arier absorbierten, die, von den Steppen Zentralasiens herkommend, sich in Nordindien niederließen. Die alten Hindus, “die Menschen des Tals des Indus-Flusses”, nahmen bald Funktionen und Spezialisierungen an, die wenig mit dem Bestellen des Bodens zu tun hatten. Die vier Kasten entwickelten sich aus einer Notwendigkeit heraus, denn mit der Entwicklung der Gesellschaft war es dem bäuerlich lebenden Menschen nicht mehr möglich, zugleich die Funktionen des Priesters, Kriegers, Kaufmanns und Handwerkers auszuüben.

Die sich wandelnden Lebensbedingungen hatten den Bedarf an Regierung, Verteidigung und Eroberung, Lehre und Handel, Arbeitern und Handwerkern zur Folge. Aufgrund der so entstandenen Rollenverteilung wurden die Menschen nach ihrer Funktion, ihrem Beruf und wirtschaftlichen Status eingeordnet. Die Kshatriya waren die Krieger, Prinzen und Könige, also der Adel; die Vaishyadie Bauern und Händler und die Brahmanen die Gelehrten und auch die geistigen Führer, die Lehrer und Vertreter des Gesetzes. Kein König konnte auf seine brahmanische graue Eminenz verzichten, und über die Jahrhunderte haben die Brahmanen immense Macht erlangt. Doch Macht, so sagen sie, korrumpiert, und obwohl heute alle hinduistischen Priester Brahmanen sind, halten sie nicht mehr wie einst die Menschen in ihrem Bann.

Die vierte Gruppe, die Shudra, sind die Dienstleistenden, beispielsweise Arbeiter, Handwerker, Steinmetze und weitere. Obwohl sie am Rande der Gesellschaft lebten, hatten die Unberührbaren, die fünfte Gruppe der Hierarchie, doch eine wichtige Funktion: Aufräumarbeiten, etwa nach Beerdigungen, das Jagen und Töten von Tieren, das Arbeiten mit Leder und anderen unsauberen Materialien wurde von ihnen durchgeführt. Gandhi gab ihnen den Namen Harjan, was wörtlich übersetzt die "Menschen Gottes" bedeutet. Es gab auch eine sechste Gruppe, die Malecha (die "Außenstehenden" oder "Fremden"), die sich – wie die Griechen, Skythen und andere Invasoren – in Indien niederließen und ihrem Beruf zufolge allmählich im Gesellschaftssystem aufgingen.

Das Wort “Kaste” ist nicht indischen Ursprungs, sondern geht auf das portugiesische Wort "Casta" (Rasse) und das lateinische "casta" (rein und unvermischt) zurück. Das Sanskritwort für das Gruppierungssystem ist Varna, das verschiedene Bedeutungen hat, doch oft als “Farbe” interpretiert wird. In einem Vers des Epos Mahabharata aus dem letzten Jahrtausend v. Chr. erklärt der Weise Bhrigu: “Die Brahmanen sind hellhäutig, die Kshatriya sind rötlich, die Vaishyas gelb und die Shudras schwarz”.

Um noch einmal das Mahabharata zu zitieren “Wenn verschiedene Farben auf unterschiedliche Rassen schließen lassen, dann sind alle Rassen gemischte Rassen. Die Hindus glauben auch, dass eines Menschen Varna von seinem Beruf und seinen Taten bestimmt wird und nicht durch die Geburt. Die Menschen des Altertums waren übrigens keine Rassisten. Denn Varna kann wie viele Sanskritwörter seine Bedeutung je nach Zusammenhang verändern und Begriffe wie Form, Qualität, Klasse, Kategorie, Rasse oder Tugend meinen."

Schließlich bezeichnete es jedoch eine Gruppierung, deren Mitglieder durch Vererbung, Ehe, Brauch und Beruf miteinander verbunden waren. Mit der Entstehung der Gesellschaft diversifizierten sich die Berufe, und ganze Gruppen nahmen eine neue Identität an, die mit der wirtschaftlichen Aktivität ihres Contra (Clans) assoziiert wurde, wodurch Unterteilungen der Varnas entstanden. Die Gesetze der Varnas und besonders das Tabu der Heirat zwischen den Kasten haben die, “Reinheit” der Kasten aufrechterhalten.

 

Die heiligen Bücher
Die erste Etappe von Hinduismus wird als vedische Periode bezeichnet. 'Vedas" sind heilige Schriften. Das ist ein Sanskrit-Wort, das "Wissen" bedeutet. Ursprünglich wurden die Vedas von Rishis (Sehern) überliefert. Später zwischen 1000 v.Chr. und 500 v.Chr. wurden wichtige Texte niedergeschrieben. Es gibt vier Vedas: Rig-Veda, Atharva Veda, Yajur Veda und Sam Veda. Die Vedas sind in der alten indo-germanischen Sprache Sanskrit geschrieben worden. Der berühmte deutsche Gelehrte, Max Mueller, hat das Rig-Veda ins Deutsche übersetzt. In den Vedas wird beschrieben, wie bestimmte Rituale zu Ehren der Götter durchgeführt werden müssen. Außer den Vedas gibt es noch einige heilige Bücher oder Schriften z.B. die Upanishads. Darin stehen nicht so viele Rituale sondern eher philosophische Spekulationen im Vordergrund. Ramayana und Mahabharata sind zwei riesige Epen, auf denen ein großer Teil des Hinduismus basiert. Die Geschichten, Figuren und Legenden, die hier vorkommen, gehören zum Alltagsleben eines Hindus. Diese heiligen Bücher enthalten verschiedene Lehren. Der berühmteste und heiligste Teil des Mahabharats, das Bhagvad Geeta, beinhaltet die Predigten von dem Gott Krishna an Arjuna während des Mahabharata-Kriegs. Diese Lehren sind die Basis der Lebensphilosophie eines Hindus.


Keine Bekenntnisreligion
Yoga und Meditation spielen auch eine große Rolle im Hinduismus, um Erlösung zu erlangen. Obwohl die Opferrituale im Hinduismus im Vordergrund stehen, braucht man nicht jeden Tag zum Tempel zu gehen oder irgendwelche festen Riten zu machen. In dem Sinne ist Hinduismus eine sehr flexible Religion. Wenn jemand als Hindu geboren ist, bleibt er sein ganzes Leben lang Hindu, egal ob er sich an seine Prinzipien hält oder nicht. Hinduismus ist keine Bekenntnisreligion. Man kann nicht dazu bekehren. Man muss als Hindu geboren sein. Im Hinduismus wird die Heirat von den Eltern arrangiert. Man darf nur innerhalb der Kaste heiraten. Die Leichenverbrennung ist auch ein hinduistisches Ritual.

Der Guru
Das Konzept von "Guru" ist sehr wichtig im Hinduismus. Der Guru ist nicht nur ein Lehrer sondern ein "geistiger Führer". Er zeigt einem den richtigen Weg im Leben. Wenn man auf der Suche nach Spiritualismus ist, braucht man einen Guru. Man verehrt den Guru fast wie ein Gott. Er steht nur eine Stufe niedriger als der Gott. Nur ein Sadhu, oder ein wandernder Asket, ist in der Lage, ohne Guru die Wahrheit des Lebens zu suchen. Sehr oft sind die Sadhus ältere Menschen, die ihre familiären und sozialen Pflichten erfüllt und alles Materielle aufgegeben haben, um die letzte Phase des Lebens als Asket zu verbringen.
Es ist sehr schwer, Hinduismus mit Worten zu erklären, weil es nicht nur eine religiöse Theorie ist. Hier steht alles, was zum Leben gehört und dafür wichtig ist. Er enthält z.B. auch die folgenden Wissenschaften: Ayurveda (pflanzliche Heilkunde), Ankganit (Mathematik), Khagol Vigyan (Kosmologie), Tantra (Körperwissenschaft), Yantra (Geometrie), Kama Sutra (Liebeswissenschaft), Natya Shastra (Tanz), Vadhya Shastra (Musik), Gayan Shastra (Singen) usw. Deshalb sagt man, dass der Hinduismus keine Religion sondern eine Lebensweise ist.

Das Ramayana
Alles, was in der Menschheit an Gutem steckt, ist in den Taten des Gottkönigs Ram, des Herrschers von Ayodhya, konzentriert vorhanden. Dieser moralische Mann ist die Hauptfigur von Indiens beliebtestem Epos: Das Ramayana, vom Weisen Valmiki verfasst, ist die Geschichte von Rams Reise durch das Leben und wird im Stil einer mittelalterlichen Moralität dargestellt.

Die Hauptgeschichte erzählt von Rams Verbannung aus dem Reich Ayodhya. Ram war der Thronfolger, nicht nur, da er der älteste von vier Geschwistern (von drei Müttern) war, sondern auch aufgrund seiner Taten. Doch sein Vater sandte ihn für 14 Jahre fort, da er ein Versprechen gegenüber Rams Stiefmutter einlösen musste, die ihrem eigenen Sohn Bharat auf den Thron verhelfen wollte. Im Exil wird Rams Frau Sita vom Dämonenkoenig Ravana, der aus Lanka stammt, entführt. Mit der Hilfe von Hanuman, dem Affengott, geht Ram gegen Ravana vor. In einer großen Schlacht wird Ravana getötet (da er zehn Köpfe hat, muss jeder von ihnen separate zerstört werden). Dieses Ereignis wird heute während des Festes Dussehra als Historienspiel nachvollzogen.

Eine der Taten während der langen Schlacht ist, dass Hanuman die Stadt Lanka mit seinem Schwanz zündet und dann zum Himalaya fliegt, wo er ein seltenes Kraut sucht, das Rams Bruder Lakshman wiederbeleben könnte. Als er es nicht finden kann, bringt er den ganzen Berg zurück!

Über die Jahrhunderte hat das Ramayana nachhaltig die Literatur beeinflusst, und es existieren nun verschiedene Ausgaben des Epos. Sein weniger beliebter Teil erzählt von Sitas Verbannung aufgrund eines von einem Dhobi (Wäscher) geäußerten Verdachtes, von der Geburt der Zwillinge Rams und Sitas in einem Wald und ihrer Entdeckung durch ihren Vater, gegen den sie eine Schlacht austragen. Das Epos endet damit, dass Sita die Mutter Erde bittet, wieder in ihren Schloss zurückkehren zu dürfen, und die Erde sie verschluckt.

In der letzten Zeit haben Feministinnen den unterwürfigen Charakter Sitas verurteilt und Ram dafür kritisiert, dass er seine Frau verbannt, nur um die Leute vom Beifall abzuhalten. Dennoch zieht die Aufführung des Stückes bei den Festen Dussehra und Diwali im ganzen Land viel Interesse an. Ram, dem perfekten Gott, seiner Frau Sita, dem Bruder Lakshman und dem Affengott Hanuman sind zahlreiche Tempel im ganzen Land gewidmet
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Das Mahabharata
Das Mahabharata zählt zu den größten literarischen Werken Indiens und genießt eine Popularität, die über Religion und Kaste hinausgeht. Das Epos ist so universell, dass der renommierte Regisseur Peter Brooks es mit internationaler Besetzung als neunstündige Aufführung im französischen Avignon inszeniert hat und später für die Leinwand adaptierte.

Anders als beim Ramayana geht es im Mahabharata nicht um Perfektion. Dieses große Epos mit seinen verschiedenen Nebenhandlungen befasst sich mit menschlichen Schwächen, mit Rivalität, Eifersucht und der Lust nach Macht.

Die Könige des Reiches Bharat wurden in einem demokratischen Verfahren ermittelt. Doch Devvrat, der Thronfolger Hastinapurs, verzichtete auf die Krone, um seinem Vater die Verbindung mit seiner Stiefmutter zu ermöglichen. Von da an nahmen die Dinge in der Hauptstadt Hastinapur eine Wende zum Schlechteren. Als ein blinder Prinz wegen seiner Behinderung nicht Thronfolger werden kann und seinem jüngeren Bruder Vortritt lassen muss, führt sein Ehrgeiz, den Thron doch für sich und seine Söhne (den Kauravas) zu sichern, zur großen Schlacht mit den fünf Pandava-Prinzen. Dieser Kampf ist das zentrale Thema des Epos Mahabharata.

Die 100 Kaurava-Prinzen hatten die Macht des Reiches hinter sich versammelt; die fünf Pandava-Brüder, die als verdienstvoller Posten zu sein, und es kam ihnen der Gott Krischna zu Hilfe. Die Schlacht wurde durch eine List Krischnas gewonnen, der daran als Arjuns (eines der Gerechteren der Pandavas) Wagenlenker teilnahm. Arjuns Widerwille, gegen Mitglieder seiner Familie zu Kämpfen, brachte ihm auf dem Feld eine Lektion von Krischna ein – dies ist das Thema eines weiteren philosophischen Werkes, der Gita.

Die Sünden ihrer Ahnen warfen in der Schlacht ihre Schatten auf die jungen Prinzen; die mutigen Krieger fielen nacheinander, und der große alte Mann Devvrat lag schließlich selbst im Sterben. Es muss ein schaler Sieg für die Pandavas gewesen sein, denn sie verloren auch ihren Halbbruder Karan, der aus der Vereinigung ihrer Mutter mit dem Sonnengott hervorging. In einem Teil des Mahabharata geht es darum, dass die gemeinsame Frau der Pandavas, Draupadi, im Kaurava-Hof gedemütigt wurde, als sie beim Würfelspiel an die Gegner ging. Später versucht sie die Pandava-Prinzen dazu zu bewegen, sie in einem Kampf zu rächen.

Liegt dem Mahabharata eine historische Wahrheit zugrunde? Es ist sehr wahrscheinlich. Die Schlacht, die in Kurukshetra, im heutigen Haryana, ausgetragen wurde, ist detailgetreu beschrieben worden. Tempel und Gebäude, die dem Gedenken der Pandavas gewidmet sind, findet man in bestimmten Gebieten des Himalayas und in bewaldeten Teilen des Landes, was auf ihre Reiseroute im Exil schließen lässt. Es ist möglich, dass sich diese Ereignisse irgendwann in der Geschichte Indiens abgespielt haben, wobei man dem Epos natürlich eine gewisse dichterische Freiheit zugestehen muss.

Puja in Kalkutta
Die erste indo-persische Invasion hatte die Ebene von Bengalen nicht ganz erreicht. Die meisten der patriarchalischen Stämme ließen sich mit ihren Herden in der Gebieten der heutigen Bundesstaaten Punjab, Haryana und Uttar Pradesh nieder. Manche siedelten sich auch in Bengalen an, doch die existierende Kultur des Landes, basierend auf der Verehrung der Muttergöttin, herrschte vor. Dieser Kult ist wahrscheinlich auf einen himalaja-mongolischen Einfluss und jenen drawidischer und vordrawidischer Religionen zurückzuführen. Er erreicht seinen Höhepunkt während der großen Herbstfeiern Durga Pooja, die im Flachland der östlichen Region stattfinden.

Monate vor den wochenlangen Festlichkeiten fertigen Figurenmacher die Bambusformen, um welche die Figuren gegossen werden. Dem Flusslehm wird dann die richtige Konsistenz verliehen, und die schönen, vielartigen Figuren der Durga Mata (Mutter Durga) entstehen. Währenddessen sammeln in Kalkutta Familien, Straßen, Dörfer, kulturelle Vereinigungen und Schulen Geld, um ihre Pandal (Durga-Bühne) bauen zu können.

Die Puja explodiert dann in ganz Kalkutta mit lauter Musik, festlichen Beleuchtungen, dem Austausch von Geschenken und Strömen von Menschen, die sich von morgens bis abends in die Stadt ergießen, bezaubert von den Figuren dieser Schutzgöttin auf ihrem Tiger, die den gefallenen Dämon der Dunkelheit besiegt. Es scheint, als ob hier Weihnachten, Neujahr, Ostern und Fasching auf einmal gefeiert wurden. Es ist wirklich berauschend, zu dieser Zeit in Kalkutta zu sein.

Wenn die Tage des Puja vorbei sind, werden die kunstvollen Figuren in einer Prozession zum Fluss getragen und in den Hooghly getaucht. Langsam treiben die Blumenkränze davon, löst sich der Lehm auf und kehrt in den Fluss zurück, aus dem er gekommen war.


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Religion
Weit davon entfernt, ein hinduistischer Monolith zu sein, ist Indien ein Land der vielen Glaubensrichtungen, und fast jede Religion findet man innerhalb seiner Grenzen.

Die Hindus
Ist der zinnoberrote Punkt auf der Stirn der Frauen Kastenzeichen? Die meisten Besucher Indiens fragen sich nach der Bedeutung des Bindi, den Hindu-Frauen als Symbol ihrer Ehe tragen. Heute wird der Bindi als kosmetisches Accessoire von den Jungen und Unverheirateten verwendet, doch das Zinno-berrotpuder auf dem Scheitel unterscheidet immer noch die Verheirateten von den Ledigen, obwohl es mehr und mehr vom Ehering verdrängt wird. Man vergißt leicht, daß Sandelholz, Safranpaste und Vibhuthi (Asche) aus dem heiligen Feuer (ein wichtiges Element der Hinduzeremonien, das auf die Stirn aufgetragen wird) das Ende der Morgen -oder Abendgebete oder des Besuchs eines Tempels anzeigen. Horizontale oder vertikale Streifen auf der Stirn lassen zudem auf die religiöse Sekte des Trägers schließen.

Das Wort “Hinduismus” wurde von europäischen Reisenden und Händlern im 16. Jahrhundert geprägt. Und obwohl sich 80 Prozent der Bevölkerung Indiens als Hindus bezeichnen, ist der Hinduismus nicht auf die gleiche Weise eine Religion wie das Christentum oder der Islam. Diese verkörpern einen präzisen Glauben an Jesus, den Sohn Gottes, und an Mohammed, den Propheten Allahs. Die Hindus glauben an eine Höchste Realität, verehren jedoch eine Vielzahl von Göttern. Es gibt keine göttliche Autorität, keine Absolutheiten wie gut, böse und Sünde, keine kanonischen Gesetze oder Gebote, keine Vergeltung oder Belohnung, keine gemeinschaftliche Anbetung, keinen Ruhetag oder einen bestimmten Tag, der Gott gewidmet ist. Obwohl der Glaube eine Sache persönlicher Überzeugung ist, existieren Tempel, Rituale und Priester, da der Hindu sich immer dann zum Tempel begibt, wenn er beten, Opfergaben darbringen oder einfach nur Freunde sehen möchte. Tempel sind im ländlichen Indien auch heute noch Mittelpunkt des alltäglichen Geschehens trotz moderner Treffpunkte wie Kinos oder Restaurants. Die Stille der ‘Frömmigkeit” ist einem Hindu Tempel fremd; eine stetige Kakophonie aus Musik, Gesang, nach Kindern rufenden Müttern, Waren anpreisenden Blumen -und Weihrauch Verkäufern prägt die Szene. Die Hindus besuchen ihre Götter, so wie sie Freunde besuchen! Priester kommen bei Geburten, Beerdigungen, Hochzeiten und besonderen Zeremonien zum Einsatz, da nur sie die religiösen Texte beherrschen. Doch die meisten frommen Anlässe sind Familienangelegenheiten und finden zu Hause statt.

Der Hinduismus läßt sich sehr schwer definieren oder erklären. Oberflächlich betrachtet ist er eine Religion mit allen dazugehörigen Ritualen und Zeremonien. “Als Glaube ist er amorph, vage, vielseitig, alle Dinge für alle Menschen” (Jawaharlal Nehru). Doch auf einer anderen Ebene ist er eine Lebensphilosophie. Gandhi sagte, er sei die “Religion der Wahrheit”, und fügte hinzu: “Ein Mensch mag nicht an Gott glauben. Und sich doch als Hindu bezeichnen. “In der Bhagvad Gita, einem für die Hindus heiligen Buch, das dem westlichen Konzept einer Offenbarungsschrift am nächsten kommt, heißt es: “Das Wesen einer jeden Person diktiert die Art ihrer Andacht: Ein Mensch ist, was sein Glaube ist.” Für Nehru war der Hinduismus “ein ethisches Konzept, das einen moralischen Kodex einschließt… “Dharma (Pflichten und Verantwortlichkeiten) bestimmt das ganze Leben Taten, Handlungen und die Arbeit. Wenn ein Mensch diese “vollends” mit “seinem Sein” ausübt, verwandelt er sie in einen “Ritus”, der wiederum zu Yajna führt (einer Transformation des inneren Wesens) die für die Hindus der Beginn Ist: das Gesetz hinter der Schöpfung. Der Bhagvad Gita zufolge kommen wir alle mit einer persönlichen Last von Pflichten auf die Welt, die ohne Hoffnung auf Belohnung ausgeführt werden müssen, denn dies ist unser Karma (das Gesetz von Ursache und Wirkung, das oft als Schicksal interpretiert wird). Doch diesem Schicksal wohnt nichts Unausweichliches oder Fatalistisches inne, denn die Hindus glauben, daß jeder Mensch mit sieben Wahlmöglichkeiten geboren wird, sieben Momenten in seinem Leben, in denen sich sein Karma verändern kann.

Der Glaube an die Wiedergeburt ist ein fundamentaler Aspekt des Hinduismus, “denn der Tod ist sich dessen sicher, “was geboren wird, und des Toten ist sich die Geburt sicher”. Es liegt eine

Bejahung des Lebens in diesem Gedanken, ein Ansporn zur Vitalität und der Freude am Leben, ohne sich unnötig über das Ende zu sorgen, denn das Selbst ist ewig. Der offensichtlich unvermeidbare Zyklus der Wiedergeburten kann auch gestoppt werden, und Moksha (Erlösung) ist durch “Loslösung, Disziplin, Begierdelosigkeit, Entsagung… “zu erreichen, welche die wahre Freiheit darstellen. Es mag zahllose Geburten und Wiedergeburten brauchen, um Nirvana (Glückseligkeit, das Einssein mit Brahma, der höchsten Realität) zu erreichen. Dies gelingt nur sehr wenigen Menschen. Der Mehrheit ist es möglich, eine höhere Stellung im nächsten Leben zu erhalten und das Schicksal durch Erfüllung des Dharma zu verändern. Und Himmel und Hölle kann man sich selbst wählen, da sie in diesem Leben existieren. Der Hindu fürchtet keinen obersten Richter – er hat sich nur sich selbst gegenüber zu verantworten.

Götter & Göttinnen
Die Mythen und Legenden der Hindus und die bildliche Kunst der Tempel machen die Essenz hinduistischer Philosophie dem Ungebildeten zugänglicher. Die Götter und Göttinnen des Hindu-Pantheons sind sehr menschlich: Krischna stahl Butter aus der Speisekammer seiner Mutter und flirtete mit den Gopis (Kuhhirtinnen), Schiwa und Parvati stritten sich ständig, Durga und
Ganesch werden in den Heimen ganz Indiens aufgenommen, wenn sie alljährlich vom Kailash (dem hinduistischen Olymp) herabsteigen, und Wischnu wird in menschlichen wie tierischen Formen immer wiedergeboren. Ihre lehrsamen Lebensgeschichten und Taten werden von fahrenden Sängern erzählt, im Tanz verkörpert sowie mittels der Ikonographie an Tempeln und Höhlenheiligtümern dargestellt.

Die wichtigeren Götter und Göttinnen sind leicht zu erkennen: Brahma, der Schöpfer, hat vier Köpfe und vier Hände. Er ist allsehend und allwissend. In jeder seiner vier Hände halt er einen Löffel, einen Topf Weihwasser, einen Rosenkranz und die Veden (das Buch des unendlichen Wissens). Brahma wird meist auf einem Lotus sitzend dargestellt, dem Symbol ewigen Friedens. Er wird selten verehrt, und der Tempel von Pushkar in Rajasthan ist eines der wenigen ihm geweihten Heiligtümer. Obwohl er der Schöpfer ist, wurde er aus Kailash vertrieben, weil er sich in seine eigene Tochter verliebt hatte. Brahmas Frau Saraswati, die oft auf dem Schwan Hamsa sitzt und eine Veena hält (ein Saiteninstrument), kommt mehr Bedeutung zu. Sie ist die Göttin der Wissenschaften, der bildenden Künste und des Intellekts. Die Götter werden mit der weiblichen Kraft Shakti assoziiert, ohne die das Männliche als unvollständig gilt.

Auf seinem Vahana (Fahrzeug) sitzt der mythologische Vogel Garuda, und auf der Schlange Ananta Nag schläft Wischnu, der Erhalter und Vermittler zwischen dem Höchsten Wesen und dessen Schöpfungen, denn er ist der mitfühlende. Er kehrt in verschiedenen Formen auf die Erde zurück. “um das Gleichgewicht wiederherzustellen”. Wischnu ist der Gott, von dem die zehn Avataren (Reinkarnationen) stammen: Matsya, der Fisch; Kurma, die Schildkröte; Varaha, der keiler, der die Göttin Erde vor der Sintflut rettete; und Narasimha, der Löwenmensch, der Hiranyakashipu besiegte, einen gämonischen Gott, der so mächtig war, daß er die Götter aus ihrer himmlischen Heimat verbannte. Wischnu ist Vamana, der Zwerg, der die unermeßliche Größe der Götter Mahabali offenbarte, dem Herrscher der drei Welten, der schnell zu einer Bedrohung für die Götter wurde. Doch in seinem Mitgefühl gab Wischnu Mahabali das Reich der Unterwelt und die zwei anderen Welten den Göttern zurück, Wischnu ist auch Parasuram. Der Held, der die Brahmanen von der Verfolgung durch die Kshatriyas befreite.

Die siebten und achten Avataren sind vielleicht die bekanntesten. Rama kam zu einer Zeit, da Ordnung, Gerechtigkeit und Moral einen Tiefstand erreicht hatten und Ravana, der König von Lanka, drohte, die Welt zu zerstören. Seine Geschichte erzählt das große Epos Ramayana. Rama wird Pfeil und Bogen tragend dargestellt und ist meist in Begleitung seines Bruders Lakshman und
seiner Frau Sita, Inbegriffindischer Weiblichkeit. Der achte Avatar ist Krischna, die charmanteste und menschlichste von Wischnus Reinkarnationen: ein in einen Kuhhirten verwandelter Prinz. Lrischna sieht man als Steinskulptur oder auf Papier, Seide oder Palastmauern in einer Vielfalt von Situationen abgebildet: als Kind mit einer Portion Butter in der rechten Hand; als jungen Mann, den Schlangenkönig im Gewässer von Yamuna entwaffnend; Kuhhirten terrorisierend; auf Mount Govardhan, die Bewohner von Vrindavan vor dem Zorn Indras, des Regengottes, beschützend und eine Gefahr nach der anderen abwehrend. Er tanzt mit Gopis (Kuhhirtinnen), stiehlt ihre Kleidung, während sie baden, und hat immer seine Flöte bei sich. Er ist Krischna, der die Weisheit der Bhagvad Gita am Vorabens der Schlacht von Mahabharata Arjun offenbart; er ist Wischnu, der sagt: “Und jades Zeitalter ist Zeuge meiner Genurt; ich komme, um das Gute zu beschützen und das Böse zu zerstören.”

Der neunte Avatar soll Gautama Buddha sein, dessen Worte eine Ära des Konfliktes in ein Zeitalter des Friedens verwandelten. Und es wird eine zehnte Inkarnation geben, Kalki, einen Krieger auf einem weißen Pferd, der die Kräfte des Bösen zerstören und uns eine neue Welt bringen wird. Wischnus Gattin ist Lakshmi, die Göttin der Anmut und der Schönheit. Auch sie nimmt verschiedene Formen an, und wann immer Wischnu wiedergeboren wird, ist sie an seiner Seite.

Der dritte Gott der hinduistischen Trinität ist Schiwa oder Mahadeva, der größte aller Götter. Er repräsentiert die gewaltigen Energien des Universums und die Naturkräfte der Erneuerung. Schiwa ist der Zerstörer, und er kann auch wiederauferstehen lassen. Er gilt häufig als Schöpfer, da sein Kult mit der Fruchtbarkeit assoziiert wird und sein Symbol ein stilisierter Phallus ist. Bronzestatuen und Steinskulpturen stellen ihn dar: etwa auf Nandi, dem Stier sitzend und als Nataraja, den kosmischen Tänzer, der die Dynamik des schöpfenden Aktes und die Zerstörung des dämonischen Chaos symbolisiert. Schiwa hat verschiedene Arme, und in seinen Händen schwingt er Waffen, das Feuer der Zerstörung eine Trompetenschnecke, eine kleine Trommel, die das Alphabet darstellt, sowie ein Rad oder eine Scheibe, die den Zyklus von Geburt, Tod und Reinkarnation repräsentiert.

Schiwas Gattin ist Parvati, die Tochter des Himalaja, die Göttin der Liebe, der Schönheit und der Hingabe. Sie ist die oberste Mutter. Doch Parvati ist auch Kali die Schwarze, ein Messer in einer Hand, die auf einem Löwen reitet und eine Halskette aus abgeschlagenen Köpfen trägt. Diese stellen menschliche Eigenheiten dar: schlechte Taten, Schwächen und Laster. Sie wird mit Blutopfergaben verehrt, doch wenn man genau hinschaut, sieht man, daß eine ihrer Hände zum Segnen erhoben ist und eine andere zum Schutz. Parvati ist ebenso Durga, die Unbesiegbare, auf einem Tiger sitzend oder Mahishura tötend, den dämonischen Stier. Die Waffen, die sie in jeder ihrer zehn Hände hält, symbolisieren den Schutz vor dem Bösen. Parvati ist weiter Uma, die Ergebene, Bhairavi, die Mächtige, Ambika, die Mutter, Sati, die perfekte Gattin, und Gauri, die Intellektuelle und Philosophin. Parvati und Schiwa sind eins oder jeweils eine Hälfte des anderen und werden als Ardhanareshwaram dargestellt, als der Gott, dessen andere Hälfte eine Frau ist.

Brahma, Schiwa und Wischnu sind die drei Aspekte des einen Gottes, des Höchsten Wesens. Die Reinkarnationen von Wischnu, Lakshmi und Parvati sind Facetten einer einzigen Perfektion, denn zusammengenommen besitzen sie alle Kräfte und Tugenden des Guten.

Und dann gibt es die Tiere – der Stier, die Schlange, der Pfau – und die Götter in Tierform: Ganesch, der spitzbäuchige Gott mit dem Elefantenkopf, der von einer Ratte und Hanuman getragen wird, dem Affengott, dessen Affenarmee Rama dabei half, im Ramayana Ravana zu besiegen. Tiere spielen eine Rolle im Zyklus der Geburten und Tode, denn die Hindus glauben, daß nach dem Gesetz des Karma ein Mensch als Tier wiedergeboren werden kann und umgekehrt ein Tier als Mensch.

Es existiert eine Vielzahl anderer Götter: Indra, der Gott des Regens, Agni, das Feuer, Surya, die Sonne, Kama, Indiens Cupido, Kartikeya, der Gott des Krieges und Jagannath, der Gott des Universums. Es gibt Flußgöttinnen, Tiere, die mit Weisheit ausgestattet sind, und heilige Bäume. Sie sind alle Ausdruck eines Lebensraums, einer Umgebung, die von den alten Indern (meist Bauern) respektiert und geschützt wurde, da ihr Leben davon abhing. Indiens “heilige Kuh” hat auch mit diesem Respekt für die Natur und ihre Gaben zu tun. Die Kuh war der wertvollste Besitz der Bauern. Sie lieferte Milch, Butter, Käse und Quark und somit Nahrung für die ganze Familie – besonders dann, wenn die Männer in den Krieg zogen. Getrocknete Kuhfladen werden in den Dörfern immer noch als Brennmittel verwendet. Mit Wasser und Stroh vermischt, bedecken sie Böden und Wände, um das Heim sauber und insektenfrei zu halten.

Shruti
Die Legende von der Menschlichkeit eines Heiligen
Yajnavalkya lag im Schatten des mächtigen Banyan der auch das Wasser im einzigen Brunnen des Dorfes vor den Sonnenstrahlen schützte. Er liebte es nicht sonderlich, wenn andere Menschen sich zu ihm gesellten und ihn durch ihr Geplapper in seiner Mittagsruhe störten. Besonders haßte er es, wenn Kinder herbeikamen und ihn, den Kavi, neckten. Und natürlich wußte er auch, was die Erwachsenen über ihn dachten und was sie sprachen, wenn er nicht zugegen war. So redeten sie über ihn, wie über all die anderen Kavis, die Brahmanen. Daß sie die Arbeit scheuten, daß sie hochnäsig seien, ja, einige wagten sogar zu behaupten, daß sie die Worte des Veda allzu oft zu ihren Gunsten auslegten. Yajnavalkya haßte die Nichtswürdigen. Sein einziger Trost war, daß sich im Denken des Volkes durchzusetzen begann, was er für die oberste und heiligste Aussage des Veda hielt: der Mund des Purusha wurde zum Brahmana, die Arme zum Kshatriya, aus den Schenkeln wuchs der Vaishya und der Shudra aus den Füßen. Freilich war diese Feststellung so noch nicht vollkommen. Das Volk verstand noch nicht ihre tiefere Bedeutung, denn man begnügte sich damit, die Herkunft der Menschen aus den jeweiligen Körperteilen Purushas nur mit deren Fähigkeiten in Verbindung zu bringen: der Shudra, der flink auf seinen Füßen war, schien bestens geeignet für Botendienste, der Vaishya, der mit kräftigen Schenkeln in die Ackererde trat, konnte doch nur Bauer sein, und wer eignete sich besser zum Soldaten und Befehlshaber als der Kshatriya mit seinen starken Armen? Der Brahmana schließlich, der von alledem nichts verstand, der aber wortgewandt war, er sollte die Opfersprüche im Gedächtnis behalten und die Götter preisen. Damit war nun keinesfalls gesagt, daß nicht auch der Sohn des Shudra zum Brahmana werden konnte, sofern er nur die Opferriten vollziehen konnte. Für Yajnavalkya dagegen hatte das Vedawort einen viel höheren, einen symbolischen Wert. Was bedeuteten ihm die Füße, die durch den Staub liefen, die Schenkel, die sich herabließen, wollüstig ein Weib zu umklammern, oder gar die Arme, die töteten? Rein war für ihn allein der Mund, waren er und alle die, die gleich ihm die heiligen Sprüche zu rezitieren vermochten.

Die Menschen jener Zeit machten sich von ihren Göttern kein
Bild. Sie begriffen die Naturgewalten, die sie täglich vor Augen hatten, den Wind, den Wind, den Regen, das Feuer, als personifizierte Gottheit mit eigenem, vernunft- und moralbestimmtem Denken und Handeln. Aber sie liebten es, ihre Dichter, die Brahmanen, von den Göttern reden zu hören, von deren großen Taten und allge waltiger Macht. Diesen Göttern brachten sie Opfer dar, nicht weil sie sie fürchteten, sondern weil sie von ihnen eine Gegenleistung erwarteten. ,,Du, Brahmane, ich brauche eine Kuh. Morgen komme ich zu Dir und wir bringen Indra ein Opfer. “Yajnavalkya verabscheute solche Reden, und noch weniger konnte er ertragen, daß dieses naive Pack in ihm nicht mehr als einen Mittler sah. Sein Verhältnis zum Göttlichen war gänzlich anderer Natur. Er verehrte das Wort, die Sprüche des Veda, die die Grundlage der Opferhandlungen bildeten. Kult und Kosmos standen für ihn in unterennbarer Beziehung, und wenn er das Opfer richtig vollzog, so mußten die Götter ihm gehorchen. Damit war er der eigentliche Gott, der die Macht in Händen hielt, ein Gott in menschengestalt. Und mit ihm waren es die anderen Brahmanen. Wie der Mund nicht die Füße berühren soll, so geziemte es sich für den Gott nicht, den Shudra zu berühren. Was der Shudra beschmutzt hatte oder der Vaishya oder der Kshatriya, das war für den Brahmanen verdorben. So jedenfalls dachte Yajnavalkya. Es gab nun ein Zauberwort, dessen Faszination jeder erlegen war. Jeder, der dümmste Shudra wie der klügste Brahmana. Shruti hieß dieses Wort. Shruti war ,,das Hören“ und der Beweis für die Richtigkeit der Aussagen des Veda. Die Rishis, die heiligen Seher, hatten die Wahrheit von den Göttern selbst vernommen und den Menschen im Wort überliefert. Daß sogar Yajnavalkya, der ein arges Schlitzohr war und alles zu seinem eigenen Vorteil auszulegen verstand, nicht auf die Idee kam, die Rishis könnten ebensolche argen Schlitzohren wie er gewesen sein, das mag für die Macht des Wortes ,,Shruti“ stehen. Aber er war doch immerhin klug genug zu sehen, daß sich das Zauberwort dazu eignete, seine Geschicke in die von ihm gewünschten Bahnen zu lenken. Es lebte noch ein anderer Brahmane in dem Dorf, Uddalaka. Uddalaka war fett und behäbig, und man sagte ihm nach, daß er dem berauschenden Soma nicht nur bei den heiligen Riten zusprach. Yajnavalkya hatte sich oft gewundert, wie Uddalaka überhaupt die Gedichte des Veda im Gedächtnis behalten konnte, wo er doch sonst strohdumm war. Häufig versetzte diese Dummheit dem Gedankengebäude des Yajnavalkya einen so heftigen Stoß, daß es in seinen Grundfesten erschüttert wurde. Dann sah er seinen Freund von der Seite an und dachte bei sich, daß es wohl auch schwerfällige Götter geben müsse. Trotzdem war Uddalaka der einzige Mensch, mit dem zu reden er liebte, denn er war ebenfalls Brahmane. Wie er so unter dem Banyan lag, kam Uddalaka daher und hockte sich an seine Seite. ,,Sag, Uddalaka, findest Du nicht auch, daß dieser Baum nur uns beiden gehören müßte, damit wir hier ungestört ausruhen können, wann immer wir wollen? “Yajnavalkya kannte die Schwächen seines Freundes nur zu gut. Das war so recht nach dessen Geschmack, ein unter dem er träge vor sich hinschlummern durfte, ohne von den Kindern mit albernen Fragen belästigt zu werden. ,,Das finde ich auch“, antwortete er also, ohne dabei die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, diesen Baum tatsächlich in Beschlag zu nehmen. ,,Und meinst Du nicht auch, daß wir damit das Besitzrecht haben müßten auf das Wasser, das vom Schatten dieses Baumes gekühlt wird?“ ,,Das wäre logisch“, kam die Antwort Uddalakas. Ob es nun wirklich logisch war oder nicht, darüber wollte er im Augenblick nicht nachdenken. Wenn sein Freund es sagte, so würde es wohl stimmen. ,,Recht hast Du!“ Indem Yajnavalkya so sprach, gab er dem behäbigen Uddalaka das Gefühl, es wären seine Gedanken, die da verhandelt wurden, und gleichzeitig schmeichelte er ihm.
Uddalaka war nun, das wußte Yajnavalkya, offen für das, was folgen sollte. ,,Es ist auch nicht recht, daß einer seine Füße im Trinkwasser des anderen wäscht. Und eben das bedeutet es für uns, wenn ein Shudra aus diesem Brunnen schöpft. “Uddalaka nickte zustimmend, obwohl er die Zusammenhänge schon nicht mehr begriff. Was um alles in der Welt hatte nun dieser Banyan mit den Füßen eines Shudra zu schaffen? Mehr noch als diese Frage beschäftigte ihn ein Fliegenpaar, das derweil um seine Nase tänzelte. Yajnavalkya wußte, daß er jetzt nicht nachgeben durfte, sonst würde der träge Kumpan dieses Gespräch schon am nächsten Tag vergessen haben. ,,Weißt Du, Dein Sohn macht mir manchmal Sorgen. “Hier war Uddalakas wundester Punkt getroffen, und augenblicklich vergaß er die Fliegen und die Füße und den Banyan. Sein Sohn nämlich hatte alle schlechten Eigenschaften des Vaters geerbt und war darüber hinaus nicht einmal in der Lage, sich zwei Zahlen auf einmal zu merken, um so weniger die Gedichte des Veda. Man durfte ihn mit Fug und Recht einen Blödian nennen, ohne sich dabei Gewissensbisse machen zu müssen. Was sollte aus ihm werden? Zum Krieger oder Bauern war er zu schwach, und zu dumm war er gar für die einfachsten Dienste. Schickte man ihn Wasser holen, so hatte er bestimmt unterwegs den Krug zerbrochen und darüber vergessen, was er eigentlich sollte. Aber Uddalaka mochte es nicht, daß jemand schlecht über seinen Sohn sprach. Bevor er sich jedoch ereifern konnte, fuhr Yajnavalkya fort: ,,Wenn nun Dir dieser Baum gehören würde, so würdest Du ihn doch sicher Deinem Sohn vererben und dieses Wasser ebenso, oder?“ Sicher würde er das, so war es Recht. ,,Und wenn Du Brahmane bist und Dein Leben lang die Opferriten vollziehst und schließlich stirbst, läge es dann nicht nahe, Deinem Sohn Deine Würde zu übertragen?“ Eigentlich nicht, dachte Uddalaka bei sich, wo mein Sohn doch kaum einen Wasserbüffel von einer Milchkuh unterscheiden kann, aber so, wie Yajnavalkya es jetzt sagt, klingt es doch ganz vernünftig. ,,Ja, so wäre es“, gab er ohne hörbaren Nachdruck zurück. ,,Aber was werden die Leute sagen? Ich meine, mein Sohn ist vielleicht nicht der Richtig für dieses Amt.“
Yajnavalkya war nun genau dort angelangt, wo er hinwollte, Auch er war überzeugt, daß Uddalakas Sohn ein Trottel war, aber doch immerhin der Sohn eines Brahmanen, eines Gottes in Menschengestalt, dem Ehre gebührt und vor dem sich nach seiner Auffassung die niederen Varnas zu verneigen hatten. Wenn es ihm jetzt gelang, Uddalaka davon zu überzeugen, daß dies der Wille der Götter sei, dann würde es ihm auch gelingen, den anderen Menschen seinen Glauben einzuprägen, dessen war er sich gewiß. Und so brachte er in seine Rede die Waffe, gegen die auch er machtlos gewesen wäre, hätte er nicht gewußt, daß sie an dieser Stelle seiner eigenen Phantasie entsprungen war. ,,Shruti!“ sagte er. ,,Ich habe es vernommen. Ich habe vernommen, daß wir Brahmanen die oberste, gottgleiche Varna sind. Ich habe vernommen, daß sich unsere Würde auf unsere Söhne und Töchter vererben soll. Ich habe vernommen, daß es auf Ewigkeit so sein wird; daß wir zu verehren sind und mit uns das von uns gesprochene Wort.“
Hätte Uddalaka Augen gehabt für die Wirklichkeit, hätte er gespürt, wie lächerlich der unter dem Baum ruhende Freund mit seiner pathetischen Rede wirkte, er hätte am folgenden Tag alles vergessen gehabt und dem mißratenen Sohn die Ohren langgezogen, bis dieser begriffen hätte, was er im Leben zu leisten habe.Aber das Wort hatte ihn in seinen Bann gezogen. Ehrfurchtsvoll blickte er auf Yajnavalkya. ,,So bist Du ein Rishi!“
Yajnavalkya hatte sein Ziel erreicht. Er hatte Uddalaka, dem er immer noch mehr Intelligenz zutraute als den anderen Dorfbewohnern, überzeugt, daß es ein von den Göttern gewolltes Ordnungsprinzip gab, das die Brahmanen an die Spitze der Menschheit stellte. Daß er dabei Uddalakas Vorteil, der sich aus diesem Gefüge ergab, ins Feld führte, hatte keinen anderen Grund, als ins aus seinem trägen Halbschlaf herauszureißen. Für den Erfolg seiner Rede war entscheidend, daß er das Zauberwort nannte. Und dieses Wort würde auch die anderen beschwören. Shruti: die Götter wollen die Kasten.

Das Kastenwesen in Vergangenheit & Heute

Weder in der Induskultur noch bei dem arischen Nomadenvolk kann eine Klassengesellschaft nachgewiesen werden. Erst als beide Völker aufeinandertrafen, zeigten sich mit der von den Ariern angestrebten Rassentrennung erste Ansätze jenes Systems, das später einer der wichtigsten Bestandteile des Hinduismus wurde. Mit dem weiteren Vordringen der Arier bildete sich ein Kriegerstand heraus, dann eine Priesterschaft, die über das heilige Wissen und die Kulthandlungen wachte. Jedem Arier stand der Zugang zu einem der drei Stände, also zu den Bauern und Hirten (Vaishyas), den Kriegern (Kshatriyas) und den Priestern (Brahmanas), offen doch war natürlich der Beruf des Sohnes durch den des Vaters zumeist vorausbestimmt. Die Ureinwohner blieben von dieser Ständeordnung ausgeschlossen. Man betrachtete sie als Diener (Shudras). Zu diesen rechnete man ferner auch Mischlinge oder degradierte Arier. Weiterhin gab es Unberührbare (Parias), das waren vor allen Eingeborenstämme, auf die die Arier erst in späteren Jahren stießen und die sie gar nicht mehr in ihr Gesellschaftssystem einbezogen, das nunmehr vier Varnas (,,Hautfarben“), also Priester, Krieger, Bauern und Diener, umfaßte. Der Begriff Varna zeigt schon an, daß im Laufe der Zeit die beiden einst getrennt von einander aufgetretenen Klassifizierungssysteme (zum einen nach dem Beruf, zum anderen nach der Rasse) zu einem einzigen zusammengelaufen waren: die Geburt bestimmte den Beruf und damit auch das Ansehen und die Macht des Einzelnen.An der Spitze der Gesellschft standen die Brahmanen, die sich bei der Rechtfertigung ihrer Position wie auch der gesamten Ordnung auf die heiligen Schriften beriefen.
Jeder Varna obliegen bestimmte Pflichten, die sehr genau im sogenannten ,,Gesetzbuch des Namu“, einem etwa um die Zeitenwende abgeschlossenen Sammelsurium von Verhaltensmaßregeln, dargestellt sind. Wer gegen diese Gesetze verstößt, der hat nicht allein eine Bestrafung durch die höheren Kasten zu fürchten, sondern in schweren Fällen auch damit zu rechnen, aus der eigenen Varna ausgestoßen zu werden. Darüber hinaus wird er Vergeltung in seinem nächsten Leben erhalten. Wer dagegen seine Pflichten erfüllt, für den wird die eigene Varna in allen Notfällen sorgen, und er wird in seiner nächsten Existenz belohnt werden. So erklärt sich, warum nur selten Kritik am Kastenwesen laut wurde und warum die in unseren Augen entwürdigenden Pflichten von der niedrigen Varna so sklavische befolgt werden. Trotz aller Vorschriften konnte eine Vermischung der Rassen nicht ausgeschlossen werden. So bildeten sich innerhalb der vier Varnas die verschiedensten Untergruppen, die Jatis, die heute an die 3000 zählen. Je tiefer der Rang der Varna, desto mehr Untergruppen zählt sie. Es ist nun durchaus nicht so, daß in jedem Dorf, ja nicht einmal in jedem Bundesland alle 3000 Jatis auftreten. Die meisten von ihnen sind eng auf ein Gebiet begrenzt. Eine eindeutig Rangfolge kann daher nicht aufgestellt werden.
Der hohe Machtanspruch der Brahmanen, der sich aus ihrem influß auf das Opfer und damit auf die Götter ergab, wurde eit etwa dem 8. Jhdt.v.Chr. von den obersten der Kshatriyas, also von Adeligen, immer häufiger in Zweifel gezogen. Buddhas Lehre (6.Jhdt.v.Chr.) lehnt gar das gesamte Kastenwesen ab, doch war, als der Buddhismus unter Ashoka zur Staatsreligion wurde, das Kastenwesen schon so tief im Volk verankert, daß der Buddhismus dieses Gesellschaftssystem übernahm. Mit dem Ausklingen des Buddhismus im 5. Jhdt.n.Chr. suchten die Brahmanen ihre Vormacht wiederherzustellen, doch scheiterten ihre Bemühungen. Die Brahmanen behielten hohes Ansehen, aber die Macht lag in Händen von König und Adel.
Die Toleranz, von der im Zusammenhang mit dem Hinduismus oft die Rede ist, ist ein Trugschluß. Es trifft zwar zu, daß Hindus – abgesehen von den geschäftstüchtigen Gurus der Neuzeit – niemals als eifrige Missionare aufgetreten sind, doch liegt dies vor allem daran, daß ihnen jeder Nichthindu als Unberührbarer gilt, der, wenn er nur seinen Schatten auf ein Haus wirft, dieses verunreinigt. Folglich ergaben sich mit dem Auftreten des Islam und später des Christentums in Indien große Spannungen. Die fremden Machthaber in Delhi, dann auch in Bombay und Calcutta fanden sich stets in der Rolle einer verachteten Minderheit. Übertritte zum Islam und Christentum kamen verständlicherweise fast nur bei den unteren Jatis und den Parias vor. Andererseits entwickelten beide Religionen auf indischem Boden ihrerseits Ansätze zum Kastenwesen. Die fortgesetzten Kontakte mit den islamischen und christlichen Kolonialherren mußten jedoch zumindest auch Änderungen in Bezug auf das mit dem Kastenwesen verknüpfte Ritual herbeiführen. So war es etwa dem indischen Diener nicht möglich, sich nach jedem Kontakt mit seinem britischen ,,Paria“-Herr rituell durch ein Bad zu reinigen. Vor allem im vergangenen Jahrhundert fehlt es nicht an grotesken Szenen, die sich aus dieser für die Hindus prekären Lage ergaben.
In Mahatma Gandhi fanden die Parias, die längst schon unter einander Kastenabstufungen gebildet hatten, einen Fürsprecher. Er lehnte die Unberührbarkeit ab, war jedoch nicht gegen eine Kastenabstufung, da er erkannte, daß die Aufhebung des Kastenwesens einer Auflösung des Hinduismus gleichkäme. So war natürlich fraglich, wo die Hari jans (,,Kinder Gottes“), wie Gandhi die Parias nannte, im Kastensystem einzuordnen seien, wenn nicht am unteren Ende, was wiederum gleichbedeutend mit dem Status quo war. Das unabhängige Indien suchte diese Frage zu lösen, indem es den sogenannten ,,Schedulded Castes and Tribes“ eine bestimmte Anzahl von Arbeitsstellen zuerkannte, die ihnen einen finanziellen und gesellschaftlichen Aufschwung verschaffen sollten. Dies setzt voraus, daß das Kastenwesen – zumindest in den Städten – als eine von der Klassengesellschft abgelöste, archaische Institution zu betrachten ist. Tatsächlich aber durchdringen heute beide Gesellschaftssysteme einander, was an nachfolgendem Zeitungsausschnitt deutlich gemacht werden soll.
Die Kaste, das verderbliche Erbe von Pritpal Singh Sandhu aus ,,The Hindustan Times“ vom 3. Feb. 1980, Es ist ein Erbe der Hindu-Religion, abgesegnet durch ,,Manu Smriti“ (Gesetzbuch des Manu), daß sich das Kastensystem zu solchen Ausmaßen entwickelt hat, daß den sogenannten ,,Shudras“ sogar der Zugang zu den Häusern und Tempeln der wohlhabenden indischen Familien verweigert wurde. So tief war die Würde dieser schuftenden Massen gesunken, daß sogar eine versehenfliche Berührung eines von ihnen nach ,,Hawan“, ,,Puja“ oder anderen Reinigungsritualen der Oberschicht Snobs verlangte. Und genau die Leute, die seit Anbeginn der Zivilisation geschuftet hatten, sahen sich nun als Unberührbare klassifiziert. (Der Verfasser verwechselt Shudras mit Parias. In indischen Städten geraten die korrekten Bezeichnungen mehr und mehr in Vergessenheit).
Gandhi, in Anerkennung ihrer Dienste und Leiden, nannte sie Harijans – Kinder Gottes – da sie jahrhundertelang anderen Menschen so selbstlos gedient hatten.
Um die uralte unterdrückung wiedergutzumachen, willigte unsere Verfassunggebende Versammlung ein, daß ein bestimmter Prozentsatz von Posten und Diensten für die Schedulded Castes and Tribes reserviert werde, legte aber für die Reservierung eine Zeitspanne von nur zehn Jahren fest. Kastentum und verbriefte Interessen sind jedoch so tief verwurzelt, daß in den ersten zehn Jahren wenig erreicht wurde, und das Parlament mußte diese Vorschrift zweimal verlängern. Wenn das Parlament im Januar 1980 zusammenkommt, wird es der Angelegenheit erneut gegenüberstehen.
Der zu berücksichtigende Punkt ist, warum die Anhebung der Harijans noch nicht erreicht wurde und wo die Hinderungsgründe liegen.
Es ist wohlbekannt, daß sich die Bedingungen für Harijans seit den Tagen vor der Unabhängigkeit wenig geändert haben; ja, die Unterdrückung hat sogar zugenommen und es werden immer noch Grausamkeiten an ihnen verübt. Ihr einziger Trost ist das Lippenbenkenntnis der Demagogenpolitiker, die um Wählerstimmen kämpfen.
Haben unsere Politiker den Grund für das Scheitern ihrer Vereinbarungen gefunden? Selbst wenn, so scheint doch politische Bedachtsamkeit ihre Weisheit eher zu lenken als die Interessen der Nation. Wie dem auch sei, die Mängel bei der Umsetzung jener Vorschrift in die Praxis liegen offen.
Unmittelbar nach der Unabhängigkeit bedienten sich diejenigen Schedulded Castes-Familien, die bereits über eine bessere Ausbildung verfügten, des reservierten Quoten-Systems und profitierten in reichlichem Maße davon. Sobald sie aber von ihrer Chance Gebrauch gemacht hatten, wurden sie selbst zu einer privilegierten Klasse und verfügten schließlich samt Kind und Kegel über 90% der Arbeitsreservierungsquoten. Während ihre Söhne und Töchter IAS-und Class I-Beamte (mittlere bis hohe Beamtenränge in Indien) wurde, blieb die Masse der Harijan-Gemeinschaft, auf dem Lande und sogar in den Städten, völlig unberührt. Infolgedessen erwies sich die Hilfe, die in der Verfassung vorgesehen war, in Bezug auf die ursprünglich angestrebte Angleichung als ineffektiv.
Die jenigen der Schedulded Castes, die dadurch begünstigt wurden, daß sie im Regierungsdienst in die übergeordneten Class III-, Class II- und Class I-Positionen gelangten, haben sich eine soziale und finanzielle Stellung gesichert, die es ihren Kindern gestattet, eine gute Ausbildung zu bekommen, ins Ausland zu gehen und Zutritt zu allen Privilegien moderner Lebensweise zu erlangen. Sie befinden sich damit natürlich in einer weit besseren Position als die Kinder der Harijans in ländlichen Regionen, die mit einem Existenzminimum leben, versunken in Unwissenheit und Rüchständigkeit. In gewisser Weise hat es diese Elite der Harijan-Gesellschaft–was die wirtschaftlichen Bedingungen der Familie und den Zutritt zum modernen Leben anbelangt sogar besser als einige der sogenannten Oberschicht. Das Gemeinschaftsgefühl der Hindu-Familie bricht unter den Spannungen und der Last der Moderne schnell auseinander. Die wirtschaftlich rückständigen Glieder der oberen Kasten bekommen nur mehr wenig Unterstützung von ihren wohlhabenden Verwandten, und es gibt in dieser ,,Oberschicht“ keine Gemeinschaft und keinen Kastenschutz mehr wie in früheren Tagen. Darum ist es in Wirklichkeit die wirtschaftliche Rückständigkeit und nicht die Kaste, die das Kriterium für eine Arbeitsplatz-Reservierung sein sollte.
Ist es nicht Heuchelei höchsten Grades, wenn der Sohn oder die Tochter eines Unionsministers, der zwei Jahrzehnte und mehr im Amt gewesen ist, Anspruch auf hohe Regierungsämter oder einen Platz in der Medizinischen Hochschule allein auf der Grundlage der Zugehörigkeit zu einer Schedulded Caste erhebt und so die Türen vor der wahren Schedulded Caste unserer Zeit verschließt? Die blinde und gedankenlose Anwendung der gut gemeinten Verfassungsbeschlüsse verewigt die Beamtung nichtbedürftiger Kandidaten und setzt die Rechte aller zurück, die Anerkennung verdienen und die der Eckpfeiler jeder Gesellschaft sind, der die Bezeichnung ,,Gesellschaft“ gebührt.
Ein weiterer unerwünschter Effekt der Gesetzesauflage war die Verhärtung des Kastensystems. Die Etablierung von Harijan Kolonien hat eine striktere Isolation für diese Leute bewirkt und entfernt sie weiter vom Kern der Nation. Ferner führte die gedankenlose Anwendung dieser Verfassungsvorschrift dazu, daß es eine elitistische Gruppe (der Harijans) vorzog, sich noch mehr von anderen Schedulded Castes zu distanzieren, als dies von den oberen Kasten praktiziert wurde. Diese Gruppe ist zu einer überprivilegierten und exklusiven Gesellschaft geworden.
Von den Sozialwissenschaften wurde einwandfrei nachgewiesen, daß jegliche Rückständigkeit, die Staatliche Deckung genießt, zur Verewigung neigt. Wenn demnach diese Protektion nicht Schritt für Schritt abgebaut wird, die Nutznießer nicht gezwungen werden, sich um Unabhängigkeit und Streben nach herausragenden Leistungen zu bemühen, dann wird die Lebensfähigkeit der hanzen Nation ernsthaft bedroht sein. Verdienste allein können letztlich die Nation stärken und sie zu einer lebensfähigen Einheit im Zusammenleben der Nationen machen.
Früher gab es für die Schedulded Castes and Tribes nur Reservierungen im Anfangsstadium, also für die Beamtung selbst. Später bestimmte die Regierung auch Reservierungen bei Beförderungen um den geforderten Prozentsatz aufrechterhalten zu können, und erachtete damit solche Beförderungen unkorrekterweise als anfängliche Anstellung. Dies hat der Verwaltungsmaschinerie großen Schaden zugefügt, da viele nichtbedürftige Schedulded Caste-Kandidaten über Nacht in höhere Positionen kletterten, für die sie weder die Fähigkeit noch die notwendige Erfahtung besaßen. Abgesehen davon, daß ihre Inkompetenz sich auf die Effektivität der Verwaltung auswirkt, hat diese auch Neid bei anderen Beschäftigten ausgelöst. Sie wurden ihrer Beförderung in jene Ränge beraubt, die ihnen nach Dienstalter und Erfahrungen, die sie durch den Einsatz von Jahren harter Arbeit erworben hatten, zustanden. Dies hat eine zersetzende Gleichgültigkeit in allen Diensträngen her vorgerufen, die sich allmählich in die Effektivität des Systems hineinfrißt. An diesem entscheidenden Zeitpunkt unserer Geschichte stellt die Rettung unserer Nation vor der Degenerierung menschlicher Werte ein ernstes Problem und eine Heraus forderung dar.
Es ist unerläßlich, daß sich unser oberstes Organ – das Parlament – ein aufrichtiges, wohl erwogenes und pragmatisches Bild des gesamten Entwurfes macht, wenn es das Gesetz des Reservierungssystems 1980 erläßt. Folgende Anregungen werden zur Berichtigung der maßgebenden Nachteile aufgeboten. Reservierungen für die Schedulded Castes and Tribes sollten mit sofortiger Wirkung von 25 (mittlerweile fast 50%) auf 15% reduziert werden, und das auch nur für die anfänglichen Stadien des Beschäftigungs verhältnisses. Bei Beförderungen in ausgewählte Ränge sollten keine Reservierungen vorgenommen werden. Schedulded Castes-Angestellte müssen eine Beförderung wie jeder andere durch harte Arbeit und den Erwerb notwendiger Fähigkeiten erlangen.
Die Familien aller Schedulded Castes-Angestellten, die bereits in einen der amtlich bekanntgegebenen Bundes- oder Landes regierungsränge aufgenommen wurden, sowie Class III-Beamte, die in der Gehaltsgruppe von Grundgehalt und dar über gearbeitet haben, sollten hinsichtlich der Reservierung von der Klassifikation als Schedulded Castes and Tribes ausgenommen werden.
Ebenso sollten alle Politiker, die den Status von MLAs , MPs (Member of Parliament) oder Ministern mehr als fünf Jahre lang genossen haben, der Klassifikation als Schedulded Castes and Tribes enthoben werden.
Zehn Prozent der Posten in Regierungsdiensten, öffentlichen Vorhaben und auch der Reservierungen in bundesstaatlichen Institutionen sollten nur auf der Basis von wirtschaftlicher Rückständigkeit zugesprochen werden und allen Kasten offenstehen.
Um die Abschwächung des Kastensystems zu fördern und es schließlich zur ,,Nichtangelegenheit“ (non issue = nicht mehr existierender, nicht mehr relevanter Programmpunkt. zu machen, sollte zu Eheschließungen zwischen den Kasten ermutigt werden und es sollten all diesen jungen Paaren Gehälter für eine Periode von fünf Jahren zuerkannt werden, als Kompensierung der Unannehmlichkeiten, die ihnen durch rigide, kastenbewußte Familien dafür aufgebürdet werden, daß sie sich außerhalb ihrer Kaste verheiratet haben.
Um Verdienststreben zu fördern, ist es entscheidend, daß alle nationalen Stipendien auf zentraler und bundesstaatlicher Ebene lediglich aufgrund von Leistungen, ohne Rücksicht auf den finanziellen Status der Eltern der Studenten, vergeben werden.
Es könnte davon getrennte Stipendien, Gehälter und Zuschüsse ausschließlich für die Schedulded Castes und die wirt schaftlich rückständigen Klassen geben.
Den Reisenden interessiert zumeist, woran er nun die einzelnen Kasten erkennen kann. Dies ist aus mehreren Gründen sehr schwer zu beantworten. Zunächst gibt es ja in Indien, wie bereits gesagt, ca. 3000 Jatis (das Wort ,,Kaste“ haben erst die Portugiesen im 15. Jhdt. eingeführt), von denen die meisten nur regional auftreten. Im engen Kreis des Dorfes, wo jeder jeden kennt, ist eine besondere Kennzeichnung der Jatis nicht not-wendig. Dei Überschaubarkeit führte dazu, daß die jeder Jati zugeordneten Rechte und Pflichten sehr viel gewissenhafter eingehalten wurden und werden als in Städten, wo sich im übrigen auch der Einfluß von Seiten der Briten starker bemerkbar machte. Dort wo die Vorschriften eingehalten werden, kann der Eingeweihte von Gepflogenheiten eines jeden Hindus auf dessen Jati schließen. Dem Laien wird dieser Schluß nicht allein durch die hohe Zahl der Jatis erschwert,Sondern auch durch den Umstand, daß sich viele Lastenvorschriften regional sehr verschieden ausbildeten, so daß etwa ein Wäscher in Karnataka andere Pflichten zu erfüllen hat als einer in Bihar. Auch Inder auf Reisen werden sich in einem fremden Bundesstaat hier und da nach der Jati ihres Gesprächspartners erkundigen. Bildung war lange Zeit ein Kriterium für die Herkunft. Schließlich konnten und durften einst nur die Brahmanen die heiligen Texte lesen, und den Parias war jeglicher Schulbesuch untersagt. Heute verwischen die Grenzen, denn zum einem ist jedem der Schulbesuch gestattet, zum anderen bedeutet Bildung nicht mehr das Wissen um den Inhalt der Veden. Wohlstand zeigte nie eindeutig die Kaste an. So gab es stets völlig verarmte Brahmanen oder auch sehr reiche Vaishyas (z.B. Händler). Auch Shudras und selbst Parias konnten zu einem gewissen Wohlstand gelangen. Die Identifizierung einer Jati wird weiter dadurch erschwert, daß heute das Kastenwesen von Indern in sehr unterschiedlichem Maße anerkannt, bzw. daß es gar geleugnet wird. Die Skala reicht vom orthodoxen Brahmanen bis hin zu jenen, die sich einer Kaste gar nicht mehr bewußt sind oder sein wollen, womit sie im übrigen auch gleichzeitig ihre durch die Kastenzugehörigkeit garantierte soziale Sicherheit aufgeben. Als eindeutige Kastenerkennungsmale bleiben die heilige Schnur der oberen Varnas (Sakramente) und der Familienname (sehr typisch etwa der Name Singh für einen Kshatriya, aber auch für einen Sikh). Auch die Anzahl der Stockwerke eines Wohnhauses kann über die Varna seines Besitzers Auskunft geben (von vier für Brahmanen zu einem des Shudra). In Nordindien ist häufig die Hautfarbe gleichbedeutend mit der Kaste, denn bei Dunkelhäutigen handelt es sich oft um Nachfahren der Ureinwohner und damit um Shudras oder um Parias.
Wenn wir hier so ausführlich auf Erkennungsmerkmale einge hen, so geschieht dies, weil bei jedem Reisenden durch die Berührung mit der fremden Kultur, also auch mit Kastenregeln, Neugier geweckt wird, die es um des Verständnisses Willen zu befriedigen gilt. Wer erkennt, mit wem er zu tun hat, der wird auch eher dessen Verhalten verstehen.


Neue Religionen
Im 6. Jahrhundert v. Chr. kamen zwei neue Religionen in Indien auf: der Buddhismus und der Jainismus. Die Sikh-Religion gesellte sich sehr viel später, im 16. Jahrhundert, hinzu. Alle drei sind Abweichungen von der alten vedischen Religion Hinduismus; sie traten zu einer Zeit in Erscheinung, da der philosophische Inhalt des Hinduismus gegenüber Zeremonien und Ritualen in der Hintergrund trat. Die Brahmanen hatten jahrhundertelang sowohl die politische als auch die geistige Macht innegehabt, und es lag in ihrem Interesse, die Menschen ungebildet zu halten. Rassentrennung und Diskriminierung hatten das Kastensystem unterhöhlt. Die Ideale des Dharma und Karma wurden vom Hokuspokus des Aberglaubens ersetzt.

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